Die Sicherung der Selbstständigkeit im Alter hängt stark von der Betreuungssituation ab. Der Bundesrat hat mit einem neuen Vorschlag auf die Betreuungskrise reagiert, doch die psychosozialen Bedürfnisse bleiben oft unberücksichtigt. Es bestehen drei alternative Lösungsansätze, um Betreuung und soziale Teilhabe besser zu fördern. Ein Artikel von Riccardo Pardini.
Der Wunsch bis ins hohe Alter selbstständig zuhause leben zu können, hängt stark von der persönlichen Betreuungssituation ab. Denn Betreuung entlastet die Betroffenen in ihrer Alltagsgestaltung, stärkt die psychische Gesundheit und erleichtert die soziale Kontaktpflege und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
In der Schweiz gibt es bis jetzt kein Anrecht auf Betreuungsleistungen. Die Betreuung erfolgt entweder durch die unbezahlte Arbeit von Angehörigen und dem persönlichen Umfeld oder durch kostenpflichtige Angebote professioneller Dienstleistungserbringenden. Mittlerweile weisen zahlreiche Studien auf die sich anbahnende Betreuungskrise in der Schweiz hin. Besonders Personen im fragilen Alter mit tiefem Einkommen und schwachem sozialen Umfeld riskieren eine Unterversorgung. Die Folge sind erhebliche Einschnitte in der selbstbestimmten Gestaltung des Lebensalltags. Dies kann zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis hin zu einem verfrühten Heimeintritt führen. Da sich die Betreuungskrise kurz- und mittelfristig eher zuspitzen wird, sind politische Massnahmen erforderlich, um zumindest für die vulnerablen Menschen im hohen Lebensalter die nötige Betreuung sicherzustellen.
Der Bund wird aktiv
Mit der Motion «Ergänzungsleistungen für betreutes Wohnen» beauftragte das Parlament den Bundesrat 2019, die Betreuung für zuhause lebende Senior*innen mit Ergänzungsleistungen (EL) zu ermöglichen. Im Mai 2024 wurde der bundesrätliche Vorschlag veröffentlicht. Dieser sieht die Anerkennung bestimmter Betreuungsauslagen vor, die unter den Krankheits- und Behinderungskosten der EL abgegolten werden können. Damit sollen die Autonomie und das selbstständige Wohnen von Personen, die zuhause leben, gestärkt werden. EL-Bezüger*innen, die in einem Alters- und Pflegeheim leben, werden vom Vorschlag nicht berücksichtigt.
Der vom Bundesrat ausgearbeitete Leistungskatalog umfasst ein Mietzuschlag für altersgerechte und barrierefreie Wohnungen, eine Vergütung von Wohnanpassungen, ein Notrufsystem, eine Haushaltshilfe, ein Mahlzeitendienst sowie Fahr- und Begleitdienste. Es ist zu begrüssen, dass der Bundesrat mit dem Vorschlag einen dringlichen Handlungsbedarf im Thema Betreuung im Alter wahrnimmt. Inwiefern der Leistungskatalog eine wirksame Betreuung tatsächlich ermöglicht, bleibt aus sozialgerontologischer Sicht fraglich. Denn Betreuung im Alter wirkt am stärksten auf den Ebenen der psychischen Gesundheit und in der Befähigung, soziale Teilhabe und Beziehungspflege zu erleben. Der vorliegende Vorschlag berührt diese Bereiche nur indirekt.
Fasst man die verschiedenen Debatten zum Thema Betreuung im Alter zusammen, ergeben sich mittlerweile alternative Lösungsansätze, wie Betreuung und deren psychosoziale Dimension auf Bundesebene zu verankern wäre. Im Rahmen einer Veranstaltung der Akademien der Wissenschaften Schweiz konnte Herr Pardini drei Ansätze vorstellen.
1. Psychosoziale Dimension als Kriterium der Hilfslosenentschädigung
2. Betreuung als eigenständige Unterstützungsform der EL zur AHV
3. Impulsprogramm zur Betreuung im Alter
Für Einzelheiten verweisen wir Sie an dieser Stelle auf den Blog der BFH Knoten und Maschen.
Der Autor Riccardo Pardini ist wissenschaftliche Mitarbeitende am Institut Alter der Berner Fachhochschule.
Quelle: Erstpublikation der Artikel im Blog der Berner Fachhochschule, Departement Alter. Zweitabdruck mit Genehmigung der BFH und des Autors: Riccardo Pardini. Bildquelle: Blog BFH Knoten und Maschen