In einem Pilotprojekt der Berner Fachhochschule BFH führten Schüler*innen und Bewohner*innen eines Alters- und Pflegeheims Gespräche zum Lebensende. Für hochaltrige Menschen ist es ein vertrautes Thema, der Tod gehört zu ihrem Alltag. Doch auch junge Menschen fühlen sich davon angesprochen. Ein guter Grund, sich darüber auszutauschen.
Im Klassenzimmer war es lange Zeit still. Die Jugendlichen waren ins Malen und Gestalten vertieft, auf dem Pult eine quadratische Leinwand vor sich. In den Ohren die Kopfhörer mit persönlich ausgewählter Musik zum Thema Sterben, Tod und Trauer. Die Schüler*innen der Oberstufe Adelboden malten sich ihr Bild vom Lebensende und bereiteten sich damit auf die Begegnung mit Bewohner*innen des Alters- und Pflegeheims vor.
Hochaltrige Menschen haben einen reichen Erfahrungsschatz. Im Laufe ihres langen Lebens und besonders auch in der Zeit im Altersheim haben sie viele Menschen sterben sehen. Aber auch junge Menschen wurden bereits mit Verlusterfahrungen konfrontiert. Manche trifft der Tod bereits früh in der eigenen Familie. Andere sind weniger direkt betroffen; dass jemand für immer geht, haben sie trotzdem erlebt. Etwa wenn ein Haustier stirbt, oder die Mutter eines Freundes oder einer Freundin. Das endgültige Verschwinden wirft Fragen auf: Was passiert nach dem Tod mit denjenigen, die gehen, und was mit denen, die bleiben?
Ein Pilotprojekt der BFH macht das Lebensende zum Gesprächsthema zwischen Generationen. Die Idee stammt von einem Hospiz in London. Aufgrund dessen Erfolgs wurde das Modell von britischen Hospizen übernommen und in andere Länder übertragen, etwa nach Schweden, Australien oder Deutschland. In der Schweiz hat es bisher noch nicht Fuss gefasst, was unter anderem daran liegen mag, dass Hospize hierzulande selten sind. Deshalb übersetzte das Projektteam den Ansatz mit Hilfe der Adelbodner Partner*innen auf die Langzeitpflege.
Schweizweit erste Durchführung in Adelboden
Zum Auftakt brachten die Jugendlichen einen Gegenstand in die Schule, den sie mit dem Lebensende verbanden. In Zweiergruppen erzählten die Schüler*innen einander die Geschichte rund um ihre Gegenstände. Eine Woche danach stattete Anita Schäfer, die Aktivierungsfachfrau des Altersheims, der Schule einen Besuch ab. Sie erzählte, welche Rituale im Altersheim rund um ein Todesereignis Trost spenden, was ältere Menschen im Zusammenhang mit dem Tod beschäftigt und wie ein Gespräch über das Thema gelingt. Auch der Schulsozialarbeiter war anwesend. Er beobachtete die Jugendlichen und war bereit zu unterstützen, falls sich jemand unwohl fühlte.
Darauf besuchte die Klasse das Altersheim. Anita Schäfer und der Heimleiter Beat Santschi führten durch das Haus, danach fand ein Znüni mit den teilnehmenden Heimbewohner*innen statt. Man setzte sich in Kleingruppen an Tische, auf beiden Seiten herrschte eine gewisse Nervosität. Was würden die Jungen wissen wollen? Womit könnte man das Gespräch beginnen? An einem Tisch berichtete ein Mann ausführlich über Knieoperationen, die er in seinem Leben hatte über sich ergehen lassen müssen. Der Tod kam dabei nicht zur Sprache, doch ging es um Verluste. Dinge, die man für immer aufgeben musste, wie zum Beispiel das Skifahren. Die zwei jungen Frauen konnten daran anschliessen. Eine litt an Wachstumsschmerzen und war ebenfalls vorübergehend in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
An den nächsten zwei Besuchstagen blieben die Kleingruppen bestehen. Das eine Mal stand ein gemeinsamer Spaziergang an, das andere Mal eine Collage. Der Abschluss wurde mit einem Apéro gefeiert. Die Schüler*innen berichteten, was sie über das Lebensende gelernt hatten. Beispielsweise, dass es manchen älteren Menschen schwerfällt darüber zu sprechen, während andere einen leichteren Zugang haben.
Das Lebensende als Gesprächsstoff für junge Menschen?
In ihren Abschlussberichten empfehlen die Schüler*innen den Austausch zwischen Schule und Altersheim, weil er Einblick in eine andere Lebenswelt und -phase ermögliche. Von Gesprächen über Sterben, Tod und Trauer raten sie eher ab. Zu wenig erfreulich, zu ungewohnt, zu schwierig sei das Thema. Ihre Rückmeldungen bringen ein Unbehagen zum Ausdruck. Vielleicht spürten sie, dass sie damit an ein Tabu rührten, das Gespräche nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch innerhalb der Familie und unter Gleichalterigen erschwert. Dass das Schweigen über kritische Lebensereignisse ebenfalls belastend sein und einsam machen kann, war ihnen vielleicht weniger bewusst.
Die Schüler*innen und Altersheimbewohner*innen machten trotz Gefühlen von Unsicherheit im Projekt mit. Ihre aktive Teilnahme und ihre Freude an den Begegnungen ermutigen zum Weitermachen. Ihre Vorbehalte fordern auf, das Projekt weiterzuentwickeln. Ziel ist einen Raum zu öffnen, in welchem sich die Teilnehmenden genügend sicher fühlen. Begegnungen zwischen Jung und Alt zu nicht alltäglichen Themen sind zwar eine Herausforderung, aber können trotzdem Erfolgserlebnisse sein. Denn eines zeigte das Projekt: Auch junge Menschen haben ein grosses Interesse am Lebensende.
Quelle: Michel, Claudia. Das Lebensende, ein Gesprächsthema für Jung und Alt. knoten & maschen – BFH-Blog zur Sozialen Sicherheit Berner Fachhochschule, Soziale Arbeit. 09 Jan. 2023, https://www.knoten-maschen.ch/das-lebensende-ein-gespraechsthema-fuer-jung-und-alt/
Erstpublikation im Blog der Berner Fachhochschule, Departement Alter. Zweitabdruck mit Genehmigung von Autorin Claudia Michel.